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Französische Revolution

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1. Synoptische Chronologie der Französischen Revolution 1789-1794

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2. Zusammenhang zwischen innerem und äußerem Konflikt 1789-1794

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3. Die Französische Revolution und die Bauern – ein zu Unrecht vernachlässigtes Kapitel der Geschichte

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4. Link zu: Französische Revolution, Menschenrechte, Kolonialideologie: Vom Avantgardebewusstsein zur Bevormundung des Anderen (auf Historia interculturalis)

 

Last update: 10.12.2006

 

 

1. Synoptische Chronologie der Französischen Revolution 1789-1794

Das Schaubild wurde für den Geschichtsunter­richt in der Jgst. 12 erstellt.

© W. Geiger

 

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8.8.1788

Ab März 1789

5.5.1789

17. -20.6.1789

11.-14.7.1789

Institutionelle

Revolution

Einberufung der Generalstände

Beginn der Wahlen

Beschwerdehefte

Eröffnung der Generalstände in Versailles.

Auseinandersetzung der Vertreter des 3. Standes mit Adel und König. Gründung des „bretonischen Clubs“ (= revolutionäre Avantgarde).

3. Stand erklärt sich zur National­versammlung

Entlassung des reformorientierten Finanzministers Necker durch den König.

 

Paris

 

 

April/Mai :

Erste Arbeiterproteste

 

Gewaltsame Nie­der­schlagung von Protesten; Bildung einer bewaffneten Bürgerwehr.

Die Commune wird zu einer Art Gegenregierung.

Soziale

Revolution

 

 

 

 

 

 

Provinz

Konflikte zwi­schen Adel und 3. Stand (v.a. Bre­tagne).

Provinzialstände­versammlungen in einigen Provinzen

Bauernaufstände v.a. in Süd­frank­reich (geschrie­benes Recht!).

Erste Städtebe­frei­ungen (z.B. Marseille)

 

 

 

 

 

Mitte Juli-

Mitte August

4.8.1789

26.8.1789

5.-6.10.1789

19.-21.10.1789

Nov. 1789

11.11.1789

Nationalversamm­lung nimmt die Arbeit an der Ver­fassung auf

Abschaffung der Privilegien

Menschen­rechts­erklärung

Widerstand des Königs gegen neue Verfassung.

Umzug der National­versammlung nach Paris

„Bretonischer Club“ wird „Jako­binerclub“

2.11.:Konfiszierung der Kirchengüter zwecks Verkaufs zur Tilgung der Staatsschulden

Auflösung der Provinzen durch Schaffung von Départements

 

 

 

Marsch der Pariser „Markt­­weiber“ nach Versailles; Besetzung des Schlosses und „Entführung“ der kgl. Familie nach Paris.

Unruhen in Paris von der NV durch Kriegs­recht nieder­geschlagen

 

 

Neue Unruhen auf dem Lande („Grande Peur“). Erste Konflikte zwischen Bürgern und Bauern; politische und soziale Auseinan­der­setzung in den Städten

 

 

 

 

 

 

 


19.12.1789

22.12.1789

24.12.1789

Winter ´89/´90

28.1.1790

März 1790

12.7.1790

14.7.1790

Schuldver­schreib­ungen des Staates: Assignaten

werden 1790 zu Papier­geld

Wahlrecht für anstehende Kommunal­wahlen unter­scheidet zw. Aktivbürgern und Passivbürgern.

Bürgerrechte für Protestanten

 

Bürgerrechte für Juden Südfrankreichs

Ablösbarkeit

der grund­herr­schaft­lichen Lasten

„Zivilkonstitu­tion des Klerus“

 

 

 

 

 

 

 

Sommer:

Formierung der Pariser Volks­bewe­gung der Sansculotten in revolu­tio­nä­ren Ge­sell­schaften

Födera­tionsfest

in Paris: revolutionäre Avantgarde aus Paris und der Provinz beschwört feierlich die Einheit Frank­reichs

 

 

 

Weitere Bauernauf­stände gegen Adel und Grundherr­schaft

 

 

 

 

 

 

Winter 1790/91

Bis 2.3.1791

18.-22.5.1791

14.6.1791

20./21.6.1791

August 1791

14.9.1791

27.9.1791

 

Abschaffung der Zünfte,

Errichtung der Handelfreiheit

Dekrete zur Einschränkung der Befugnisse der Pariser Stadtteilsektionen

Koalitions­ver­bot für berufs­stän­dische Vereinigungen (= Arbeiterver­sammlungen)

Flucht des Königs in Varennes gestoppt

Wahl der neuen Nationalver­sammlung nach dem Zensus­wahlrecht

(tritt am 1.10. zu­sam­men)

König leistet Eid auf die Verfas­sung

Alle Juden Frankreichs erhalten staatsbürger­liche Gleich­berech­tigung

 

 

Zunehmende Auseinander­setzung der Pariser Sansculotten

mit Nationalver­samm­lung und Regierung

 

Ruf nach Abschaffung

der Monarchie; blutige Zusammen­stöße mit dem Militär

 

 

 

Schwere Bauern­un­ruhen.

Aufbau einer Emigranten­armee in Koblenz mit Geheimkontak­ten nach Frank­reich; erste konter­revolutio­näre Aktionen in Frankreich

 

 

 

 

 

 

 

 



Winter 1791/92

Frühjahr 1792

20.4.1792

Juni/Juli 1792

August 1792

September 1792

Okt./Nov. 1792

 

Herrschaft der „Girondisten“ in Nationalversamm­lung und Regie­rung.

Beschlagnahme

des Besitzes der Emigranten

Nationalver­samm­lung erklärt

Öster­reich den Krieg

Entlassung der girondistischen Minister durch

den König;

letzter Macht­kampf zwischen Revolution und Monarchie

Entschädigungsl­ose Abschaffung der Feudalrechte,

für die keine Rechts­titel vorge­legt werden können.

Wahlen zum Natio­nalkonvent

nach allgemeinem Wahlrecht, aber mit geringer Wahl­beteiligung.

21.9.:Abschaffung der Monarchie

 

 

 

 

 

Internierung der kgl. Familie nach dem Tuilerien­sturm vom 10.8.; letzte gemein­sa­me Aktion der Avant­­garde aus Paris und der Provinz.

Die Pariser Com­mune erklärt sich für „aufständisch“.

September­massaker (2.-5.9.) in Paris an politischen Gefangenen.

 

In verschie­denen Teilen Frank­reichs Teuerungs­unruhen, Bauernauf­stände, Übergriffe gegen eidver­weigernde Priester

 

Erste konter­revolutionäre

Aktionen an verschiedenen

Orten Frank­reichs.

Vordringen der Koalitionstruppen in Nordost­frankreich.

Kanonade von Valmy 20.9. – militärische Wende zugunsten Frankreichs.

Militärische Siege: Eroberung des links­rheini­schen Gebietes.

 

 

Dez./Jan. 1793

März 1793

April 173

Mai-Juni 1793

Juli 1793

August 1793

Sept./Okt. 1793

Guillotinierung Ludwigs XVI. auf dem Revolutions­platz (21.1.).

Einführung der revolutionären Gesetzgebung in den eroberten Gebieten.

10.3.: Errich­tung des Revo­lutions­tribunals

Einsetzung des „Wohl­fahrtsaus­schusses“.

 

 

 

 

 

 

Bewaffnete Demon­­stra­tio­nen der Pari­ser Sansculot­ten erzwingen Aus­schluss der giron­distischen Abgeord­neten aus dem Konvent (2.6.).

Beginn der Jako­binerherr­schaft

Endgültige ent­schä­digungs­lose Ab­schaf­­fung der Feu­dal­lasten (17.7.).

Todesstrafe für Schieber und Schwarz­händ­ler.

Robes­pierre wird Mitglied des Wohl­fahrts­aus­schusses. Beginn der „Terreur“ = Schreckensherr­schaft.

 

 

 

 

 

 

 

 

Sansculotten erzwingen weitere Radikalisierung der Revolution: Festsetzung von Höchstpreisen; Guillotinierung der Girondisten; Verbot der Frauenclubs (Hinrichtung von Olympe de Gouges am 4.11.)

 

 

 

 

 

Teuerungs­un­ruhen und ge­waltsame Fest­setzung von Höchst­preisen („taxa­tion popu­laire“) in weiten Teilen Nord­frank­reichs. –

Konterrevolutio­näre Verschwö­rung des Marquis de la Rouërie in der Bretagne.

Militärische Rückschläge in den öster­reichi­schen Nieder­landen (Belgien).

Beginn des Bauern­aufstandes in der Vendée und in der Bretagne.

 

 

„Föderalisti­scher“ Wider­stand in weiten Teilen Süd und West­frank­reichs gegen Paris und die Jakobiner­diktatur im Konvent.

Beginn des Vernichtungs­krieges gegen die Vendée und Nieder­schlagung der übrigen „föderalisti­schen“ Auf­stände im Süden und Westen

Französische Siege über Engländer bei Dünkirchen und Österreicher bei Wattignies

 

 

Dieses Schaubild wurde für den Geschichtsunter­richt in der Jgst. 12  erstellt.

© W. Geiger

 

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2. Französische Revolution:

Zusammenhang zwischen innerem und äußerem Konflikt 1789-1794

 

 

 

 

3. Die Französische Revolution und die Bauern –

ein zu Unrecht vernachlässigtes Kapitel der Geschichte

© W. Geiger

2004

Die Kritik am Ancien Régime griff in den Jahren vor und zu Beginn der Revolution gerne das Bild des unter der Feudallast leidenden Bauern auf und die berühmten Karikaturen haben heute Eingang in die entsprechenden Geschichtslehrwerke für die Schule gefunden. Die Beschwerdehefte (Cahiers de doléances) aus dem ländlichen Raum unterstrichen die Forderungen nach einem Ende der mittelalterlichen Grundherrschaft. Damit kontrastiert jedoch seltsam die Minimalisierung, wenn nicht gar Verdrängung der Frage im Rückblick heute, was die Revolution für die Bauern eigentlich brachte, die immerhin 85% der Bevölkerung ausmachten! Da erfährt man von den „drei Revolutionen“ des Jahres 1789, darunter die der Bauern, von der „Abschaffung der Privilegien“ in der berühmten Nachtsitzung der Nationalversammlung vom 4. August 1789..., doch rätselhaft oder gar unver­ständ­lich bleiben deren Ergebnisse im Hinblick auf die Forderungen der Landbevölkerung durch die in den Geschichts­büchern oft kommentarlose Erwähnung der „Ablösung der Feudallasten“.

„Ablösung“ der Feudallasten

Tatsächlich wurden nur die Leibeigenschaft und die Frondienste ersatzlos abgeschafft (und nicht einmal letztere ohne wenn und aber); die Leibeigenschaft war in Frankreich, anders als in großen Teilen Deutschlands, ein Relikt aus früheren Zeiten, das nur noch ca. eine Million Menschen betraf – immerhin durften sie sich jetzt ihrer Freiheit erfreuen. Anders sieht es jedoch mit den grundherrlichen Abgaben aus. Die „Ablösung“ war ein Loskauf, d.h. die Vorauszahlung der Abgaben auf 20 Jahre bei Geldzahlungen bzw. auf 25 Jahre bei Naturalleistungen (Gesetz vom 3. Mai 1790), mit der die Befreiung des Landes vom Grundherrn und somit ein eindeutiges Besitzverhältnis am Grund und Boden eintreten sollte. Dass heute selbst in den großen Standardwerken zur Französischen Revolution oft keine klare Angabe über die Höhe dieser Ablösung steht, ist vielleicht nur Ausdruck der chaotischen Zustände, die damals herrschten, und deren Unklarheit und Unübersichtlichkeit der Revolution von vornherein schon ein Gutteil ihres Ansehens bei der ländlichen Bevölkerung kostete; vielleicht ist es aber auch nur Ausdruck der Geringschätzung dieser Frage durch die Historiker, die entweder der institutionellen Revolution, d.h. der Entstehung des modernen Parlamentarismus, oder aber der Revolution der städtischen Volksmassen im Hinblick auf die dadurch herbeigeführte Jakobinerdiktatur das größte Augenmerk widmen.

[1] Walter Markov, Revolution im Zeugenstand, Bd. 2. –

Siehe auch in:

Geschichte und Geschehen Themenheft Französische Revolu­tion, S.32.

(Ausführliche bibliografische Angaben am Ende).

 

[2] Cf. Annie Moulin, Les paysans dans la sociéte française…

In der Quelle  41 bei Markov [1] kommt der entsprechende Protest der Bauern aus der Haute-Marche (kleine Provinz südlich der Normandie) in einem Schreiben an die Nationalversammlung vom 8. Mai 1790 deutlich zum Ausdruck. Sie haben damals sicher gerade das fünf Tage zuvor verabschiedete Gesetz zur Agrarfrage im Wortlaut kennen gelernt, das die Hoffnungen der Bauern angesichts der feierlichen Beschlüsse des 4. August 1789 maßlos enttäuschen musste: Wer konnte sich schon durch Einmalzahlung der Summe von 20 oder 25 Jahren von der Abgabenpflicht loskaufen? Auch die Konzession an die ärmeren Bauern, diese Zahlung auf 12 Raten zu strecken, half nur wenigen, denn wer konnte die doppelte jährliche Summe aufbringen, wo schon die einfache Ab­gaben­last drückend hoch war? [2] Zudem waren viele Bauernhöfe gemein­schaftlich zu den Abgaben veranlagt und konnten sich individuell gar nicht ablösen, wie die Bauern in dem erwähnten Protestschreiben betonten.

Das Aufbringen der Ablösesumme hätte wohl im Allgemeinen die Aufnahme eines Kredits von reichen Bürgern der Stadt erfordert; so hätte der betreffende Bauer weiterhin seine Raten bezahlt, diesmal als Schuldentilgung an den Kredit­geber (plus die anfallenden Zinsen), und für sein Alter oder zumindest für seine Kinder erhoffen können, dann frei von Schulden und Lasten zu sein. Doch in diesen Zeiten einer ernsten Wirtschaftskrise, die bereits vor 1789 virulent war und sich mit der Revolution nur noch steigerte, war die Gefahr groß, dadurch in den Ruin getrieben zu werden und seinen als Sicherheit verpfändeten Besitz (Hypothek) zu verlieren. Doch kam es letztlich kaum zur Durchführung des Gesetzes, da in vielen Regionen Frankreichs die Bauern sich durch Aufstände zuerst gegen die Grundherren und später gegen die Regierung selbst von den Abgaben befreiten. 

Michel Gerard

Laboureur. Né au Bas Quincé

Paroisse St. Martin de Rennes

Député de Bretagne

à l’Assemblée nationale de 1789.

Bild aus einem Buch von 1842

Wikimedia Commons

 

 

 

 

 

[3] Furet / Richet, Die Französische Revolution, S.89.

Ein Bauer als Abgeordneter

[4]labour“ = Landarbeit. Der „laboureur  war jedoch kein Landarbeiter im Sinne eines Tage­löhners, sondern ein grund­besitzender Landwirt.

[5] Almanach: Illustrierter Kalender mit Sprüchen, hier (fiktive) Interviews des Père Gérard zur Revolution und zur Arbeit der Nationalversammlung.

In dem Maße, wie sich die Macht der Nationalversammlung festigte, trat somit dem alten Konflikt zwischen Adel und Bauern ein neuer Konflikt zur Seite: der zwischen Bürgertum und Bauerntum. Das war schon dadurch vorpro­gram­miert, dass unter den Vertretern des 3. Standes nur einige wenige Bauern waren – übrigens keineswegs gar keine, wie es etliche auch namhafte Historiker behaup­ten: “Bei der starken Vertretung des Dritten Standes dagegen fällt die gesell­schaftliche und politische Einheitlichkeit auf: keine Bauern, keine Handwerker und keine Arbeiter, sondern eine geschlossene Bürgerphalanx aus gebildeten, ernsthaften Männern [...]“[3]. –Dabei wurde doch ein „laboureur“[4], wie seine offizielle Berufsbezeichnung war, unter den Abgeordneten berühmt: Michel Gérard aus einem Dorf bei Rennes in der Bretagne, als Père Gérard von dem Jakobiner Collot d’Herbois zum Aushänge­schild eines überaus populären Alma­nachs [5] gemacht, war er doch für die Jakobiner die Verkörperung des politi­sierten aber im Rousseauschen Sinne natürlichen einfachen Mannes vom Lande.

Michel Gérard war freilich kein kleiner Bauer, denn sonst hätte er seine Tätigkeit als Abgeordneter und die Abwesenheit von seinem Hof nicht aus eigener Tasche bezahlen können. Trotzdem gehörte er zu jener Landbevöl­kerung, die 85% des Dritten Standes ausmachte und zu Recht nach derselben Logik wie Abbé Sieyes gegenüber den beiden anderen Ständen in seiner Schrift Was ist der Dritte Stand? eine angemessene Berücksichtigung, wenn nicht in der Nationalversammlung selbst, dann zumindest bei den Inhalten der dort beschlossenen Gesetze erhoffen durfte.

Die Handvoll Bauern, die zusammen mit Michel Gérard in der National­ver­samm­­lung saßen, hatten keinen Einfluss auf deren Beschlüsse, doch ergriffen etliche Ab­geordnete bürgerlicher oder klerikaler Herkunft für die Sache der Bauern Partei, freilich auch ohne sich gegen die Mehrheit durchzusetzen, die schließlich mit der Verfassung von 1791 durch das Zensuswahlrecht ca. 50% der männlichen Bevölkerung (die weibliche ohnehin) vom aktiven Wahlrecht und die große Masse insgesamt vom passiven Wahlrecht ausschloss.

Ausschnitt aus der Darstellung des Ball­hausschwurs von Jacques Louis David

 

Revolution auf dem Lande

[6] Cf. Rolf Reichardt, Die Franzuösische Revolution; Susanne Petersen, Die Große Revolution und die kleinen Leute.

Siehe auch in:

Geschichte und Geschehen Themenheft Französische Revolution, S.32f.

 „Vater Gérard“ wurde auch vom Revolutionsmaler David in seiner Darstellung des Ballhausschwurs verewigt. Der nebenstehende Ausschnitt zeigt den bretonischen Bauern als einzigen, der sich beim Schwur der Abgeordneten des 3. Standes, jetzt zur Nationalversammlung konstituiert, nicht den pathetischen Gesten des erhobenen Armes oder des Griffs ans Revers anschließt, sondern sich zum Gebet niederkniet. Vielleicht ungewollt kommt hier bereits in visionärer Ahnung der spätere Konflikt zwischen Nationalversammlung und Landbevölkerung zum Ausdruck, da der Katholizismus vor allem in Westfrankreich tief verwurzelt war und die Bauern den radikalen Kampf gegen die katholische Kirche nicht mit trugen, zumal sich viele Mitglieder des niederen Klerus, einfache Pfarrer, anfangs entschieden auf die Seite der Revolution gestellt hatten.

Schon in der Anfangsphase zwischen der Einberufung der Generalstände durch den König im Sommer 1788 für das darauf folgende Jahr, ihrer Wahl und ihrem Zusammentreten in Versailles im Mai 1789, begann ein revolutionärer Prozess auf dem Lande, v.a. in Südfrankreich, wo es zu Verweigerungen von Abgaben nach der Ernte im Herbst 1788 und gewaltsamen Konfrontationen mit den Grundherren kam; vielerorts wurden deren Schlösser gestürmt und die Urkunden vernichtet, in denen nach dem geschriebenen Recht römischer Tradition in Südfrankreich die Pflichten der Hörigen festgelegt waren. Hier galt das Schriftstück zum Nachweis der Ansprüche, anders als im Gewohnheitsrecht germanischer Tradition in Nordfrankreich, wo es nichtsdestotrotz auch Abgabenverweigerungen und gewaltsame Auseinander­setzungen gab (z.B. in der Bretagne). Die Bauernaufstände setzten sich 1789 nach den Beschlüssen des 4. August und den dadurch erweckten Hoffnungen auf eine gänzliche Abschaffung des Feudal­systems fort. Die Dokumente darüber sind zahlreich, einige frühe aus dem Jahr 1790 finden sich z.B. bei Reichardt oder Petersen [6].

 

 

 

Diese eigenständige Revolution, die der institutionellen Revolution, d.h. der Konstituierung der National­versamm­lung und ihrem Kampf gegen den König, vorausging, sie begleitete und in Konflikt mit ihr trat, bleibt in den meisten Standardwerken zur Französischen Revolution und v.a. in den schulischen Lehrbüchern unterbelichtet und unterbewertet. 1790 und in den folgenden Jahren bis zur Jakobinerherrschaft versuchte die National­versamm­lung diese Bauernrevolution zurückzudrehen: Den durch die Vernichtung der Feudalurkunden geschädigten Grund­herren sollte ermöglicht werden, durch Zeugen oder andere Zeugnisse den Nachweis über ihre Rechte zu führen und diese dadurch wieder zu erlangen; Abgabenverweigerungen und Widerstände gegen das Gesetz über die Ablösung wurden mit der neu gebildeten Nationalgarde bekämpft, Aufstände niedergeschlagen, es kam zu militä­rischen Konfrontationen, Bürger kämpften jetzt gegen Bauern.

Verkauf der Nationalgüter

Die Einberufung der Generalstände geschah, weil der Staat vor dem Bankrott stand und selbst der absolut regierende König keinen anderen Ausweg mehr sah, als die Vertreter der „Nation“ – ein politischer Begriff, der damals entstand und die Gesamtheit der Staatsbürger bezeichnete – um Mithilfe zu bitten. Die Finanzprobleme waren mit der Konstituierung der Nationalversammlung und der Ausarbeitung einer Verfassung nicht gelöst, es musste Geld her. Neue Geldquellen fand man in der Konfiszierung der Kirchengüter sowie des immobilen Privatvermögens der ins Ausland emigrierten Adligen. Diese jetzt so benannten Nationalgüter wurden zum Verkauf angeboten, der Erlös sollte die Staatsschulden decken. Dass der Verkauf nur schleppend voranging – weil z.B. die Immobilien zunächst nur in großen Einheiten zur Versteigerung angeboten wurden – gab man Anleihen auf den Wert der Nationalgüter aus, die Assignaten, die schnell zu einem allgemeinen Zahlungsmittel wurden und das erste generell eingeführte Papiergeld darstellten (abgesehen von ersten Erfahrungen damit, auch hinsichtlich der Inflation, in China). Die Druckerpresse löste das Schuldenproblem für den Staat, aber die daraus folgende Inflation verschlimmerte noch die soziale und wirtschaftliche Not für das Volk.

 

[7] vgl. Quelle 45 bei Markov und

[8] Annie Moulin,

Les paysans..., S.47.

(Übers. W.G.)

Auf dem Land forderten die Kleinstbauern und besitzlosen Tagelöhner die Aufteilung des noch existierenden Gemeindelandes zu ihren Gunsten [7]; der Verkauf der Nationalgüter hat, soweit er denn erfolgte, der ländlichen Bevölkerung kaum etwas gebracht: im Distrikt Cholet z.B., einem späteren Zentrum der Chouannerie, dem Bauernaufstand gegen die Revolutionsregierung in Paris, „haben die Bauern 9,3% des zum Verkauf angebotenen Bodens kaufen können gegenüber 56,3% für das städtische Bürgertum und 23,5% für den Adel.“[8]. Die letzte Zahl zeigt, dass selbst etliche in Frankreich gebliebene Adlige trotz des Verlustes ihres alten Status noch über genügend Privatbesitz verfügten um von den neuen Spielregeln mehr zu profitieren als die Bauern...

Jakobiner, Krieg, Bürgerkrieg

Die Jakobiner setzten im Konvent, der dritten Etappe des revolutionären Parlamentarismus, endlich die ersatzlose Streichung aller Feudalabgaben durch... – doch kam dies zu spät um die Entfremdung zwischen Regierung und Bauern, Stadt und Land stoppen oder gar zurückdrehen zu können. Neben dem radikalen Kampf gegen die katholische Kirche, der in der Verfolgung der den Eid auf die Republik verweigernden Priester ihren Höhepunkt fand und in weiten Kreisen v.a. der westfranzösischen Landbevölkerung auf kein Verständnis traf, kamen mit dem Krieg, den die Nationalversammlung in präventiver Absicht 1792 gegen Österreich und die deutschen Fürsten begonnen hatte, die Zwangsrekrutierung von Soldaten, nachdem die Zahl der Freiwilligen nicht mehr ausreichte, sowie eine Sondersteuer auf die vom Kriegsschauplatz weit entfernten Regionen Frankreichs. Doch alles entscheidend war wohl die wirtschaftliche Krise, in der sich Stadt und Land als Antipoden eines erbarmungslosen Konfliktes gegenüber standen.

[9] Annie Moulin, S.46.

In Zeiten der Nahrungsmittelknappheit stehen das Interesse der Konsumenten, also der Stadtbevölkerung, an einem möglichst niedrigen Brotpreis dem ebenso natürlichen Interesse der Produzenten, also der Bauern, an einer möglichst hohen Entlohnung ihrer Arbeit diametral gegenüber... Durch den Krieg, der die Ostprovinzen Frankreichs heimsuchte, wurde die Versorgungslage nur noch verschärft, Hamstermentalität breitete sich aus. Die Regierung widersetzte sich lange der Forderung der revolutionären städtischen Massen, der Sansculotten, nach Preis­fest­setzung, denn zum einen war die gerade erst gewonnene Handelsfreiheit wesentlicher Bestandteil der bürgerlichen Grundüberzeugung, zum anderen ahnte man vielleicht, anders als bei der Tragödie der Inflation der Assignaten, die soziale Sprengkraft, die in der Preisfestsetzung lag. So richtete sich der Hass zunächst gegen angebliche oder echte Spekulanten, Zwischenhändler, die von der Lage profitierten um die Endpreise zu erhöhen. Gewaltsame Auseinandersetzungen und Plünderungen waren die Folge. Doch dann richtete sich die Wut der städtischen Volksmassen, Träger der Revolution und der bewaffneten Nationalgarde, gegen die Landbevölkerung, wie etliche Dokumente in der Sammlung von Markov belegen: zunächst bewaffnete Banden, später reguläre Einheiten der Nationalgarde, beschlagnahmten vermeintliche oder echte Spekulationshortungen und legten Verkaufspreise für Getreide auf den Märkten fest. „Ab 1793 beginnt eine lange Reihe von Zwangsmaßnahmen, deren Ziel es ist, die Bauern zur Herausgabe ihrer Ernteerträge zu zwingen. Im Juli 1793 wird das Hamstern und Horten zum Kapitalverbrechen erklärt. Im September werden die Höchstpreise für Getreide festgelegt. Die Distrikte werden beauftragt, Beschlagnahmungen zu organisieren.“[9]

 

 

[10] Geogres Lefebvre, La Révolution française et les paysans, S.356.

Spätestens von da an hatte die Revolution wohl bei weiten Kreisen der Landbevölkerung im Westen und Süden Frankreichs, entfernt vom Kriegsgeschehen, ihr Ansehen verloren, war die ursprüngliche Begeisterung in hoffnungslose Enttäuschung umgeschlagen; in der Erinnerung wurden die früheren Zeiten immer besser angesichts einer immer schlimmeren Gegenwart. „Widerstände gegen die Revolution“, wie es der Historiker Roger Dupuy formulierte, und die geheim organisierte und von den Emigranten finanzierte echte Konterrevolution mischten sich zusammen zu einem Bürgerkrieg, der im berühmt-berüchtigten Jahr II der Republik – 1793-1794 – zwei Drittel Frankreichs gegen die Jakobinerherrschaft in Paris erfasste. Die Vielschichtigkeit der Interessenlagen und politisch-militärischen Fronten zeigt sich auch darin, dass im Aufstand gegen Paris auch Städte beteiligt waren (wie z.B. Nantes), die ihrerseits im Konflikt mit der Landbevölkerung lagen. Insgesamt sind jedoch der Bürgerkrieg und die damit verbundene Diktatur Robespierres ohne die Entfremdung mit dem Bauerntum nicht zu verstehen. So stellte der große alte Revolutionshistoriker Georges Lefebvre schon 1932 fest: „Es kann also kein Zweifel daran bestehen, dass die Revolution den Wünschen der erdrückenden Mehrheit der Bauern keinerlei Beachtung schenkte.“[10]

 

W. Geiger

Bibliografie

Walter Markov, Revolution im Zeugenstand. Frankreich 1789-1799, Bd.1: Aussagen und Analysen, Bd.2: Gesprochenes und Geschriebenes, Frankfurt/M. (Fischer TB)  1987.

François Furet / Denis Richet, Die Französische Revolution, Frankfurt/M. 1968, (Fischer TB) 1987.

Annie Moulin, Les paysans dans la sociéte française – De la Révolution à nos jours, Paris  1988.

Rolf Reichardt (Hg.), Die Französische Revolution, Freiburg/Würzburg (Ploetz) 1988.

Susanne Petersen, Die Große Revolution und die kleinen Leute. Französischer Alltag 1789/95. Kommentare, Dokumente, Bilder, Köln (Pahl-Rugenstein) 1988.

Roger Dupuy, De la Révolution à la Chouannerie – Paysans en Bretagne 1788-1794, Paris 1988.

François Lebrun / Roger Dupuy (Hg.), Les résistances à la Révolution. Actes du colloque de Rennes (17-21 sept. 1985), Paris 1987.

Georges Lefebvre, „La Révolution française et les paysans » [1932], in : G. Lefebvre, Etudes sur la Révolution française, Paris 1954, 1963.

Wolfgang Geiger, Paris accapateur ! 1789-1989 : Pour une déparisianisation de l’histoire de la Révolution française, Morlaix 1989.

Wolfgang Geiger, „Die Französische Revolution“, in:  Geiger / Wölling /Rehberg-Credé, Die Französische Revolution und die napoleonische Herrschaft, Geschichte und Geschehen Themenheft, Leipzig (Klett Schulbuchverlag), 2006, S.5-39.

 

 

 

 

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4. Link zu: Französische Revolution, Menschenrechte, Kolonialideologie:

Vom Avantgardebewusstsein zur Bevormundung des Anderen

auf Historia interculturalis

Übersetzung eines Vortrages in Paris 1991.

 

 

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